Komplikationen - EVAR – Endovaskuläre Versorgung eines abdominellen Aortenaneurysmas (Y-Prothese) - Gefäßchirurgie
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Intraoperative Komplikationen
1. Komplikationen der Zugangswege
- Häufigkeit: 9-16 % aller Patienten
- Verletzungen der Zugangsgefäße mit oder ohne akuter Thrombosierung, Blutungskomplikationen; später auch Pseudoaneurysmabildung und arteriovenöse Fisteln
- besonders bei schmalen, grazilen oder stark geschlängelten, verkalkten Gefäßen
- Dissektion, Verschluss des Zugangsgefäßes, Gefäßruptur → Stent-Implantation
- Blutungskomplikation an Punktionsstelle (5-8 %) → überwiegend konservativ; operative Hämatomausräumung mit Übernähung des Gefäßes in < 3 % der Fälle erforderlich
Prophylaxe:
- sorgfältige Patientenselektion und präprozeduale Evaluation
- korrekte Auswahl des Einführbestecks
Außendurchmesser Einführbesteck Mindestgefäßdurchmesser 14 – 16 F 6 mm 17 – 21 F 7 mm 22 - 25 F 8 mm 2. Fehlplatzierung der Endoprothese
- meist inkorrekte Platzierung des proximalen Endograft-Endes im Verhältnis zu den Nierenarterien
zu tiefe Platzierung:
- unzureichende proximale Abdichtung → Endoleak Typ I
- proximale Verlängerung mit weiterem Stentgraft oder Bare-Metal-Stent
Prophylaxe:
- sorgfältige präprozeduale Evaluation
- sich mit den verschiedenen Markierungen auf dem Endograft vertraut machen
zu hohe Platzierung:
- akzidentelle Überdeckung der Nierenarterien → Sondierung der Nierenarterie mittels Simmons-Sidewinder-1-Katheter oder alternativ transbrachialer Zugang + Stent-Implantation in Nierenarterie
- ist eine interventionelle Therapie nicht mehr möglich (häufig) → Konversion zur offenen OP
Torquierung des Endoprothese
- führt zur konsekutiven Knickbildung im Prothesenschenkel mit Schenkelstenosierung bzw. Schenkelverschluss → Behebung mit der Implantation eines selbstexpanierenden Stents
Prophylaxe:
- ist eine Drehung des Einführsystems vor der Freisetzung der Endoprothese unbedingt erforderlich → Einführsystem in die Iliakalstrombahn zurückziehen und nach Korrektur der Position wieder vorführen
Postoperative Komplikationen
1. Ischämische Komplikationen
Extremitätenischämie
- periphere Embolien (< 2 %) → Behebung durch Kombination von Thrombolyse, Katheteraspiration, Angioplastie/Stent sowie Fogarty-Manöver
Beckenischämie
- durch Embolisation oder Überdeckung der A. iliaca interna mit Endoprothese → Harn- oder Stuhlinkontinenz, gluteale Claudicatio, rektale Ischämie, erektile Dysfunktion, Haut- bzw. Muskelnekrosen
Prophylaxe:
- Verwendung von Endoprothesen mit Iliakalseitenästen zur Beibehaltung der Beckendurchblutung
Viszeralischämie
- durch Überdeckung der A. mesenterica inferior und/oder Thromboembolien; Überdeckung der A. mesenterica inferior führt nur dann zur Darmischämie, wenn die Kollateralzirkulation via A. mesenterica superior und/oder A. iliaca interna nicht ausreicht (bei endoluminalen Verfahren trotz ungünstiger Kollateralkreisläufe sehr selten)
- meist Dickdarm betroffen, vornehmlich Colon descendens und sigmoideum
- Klinik: blutige Stuhlangänge, Diarrhoen, abdominelle Schmerzen, Peritonitis
- Diagnostik: Rektosigmoidoskopie, ggf. Koloskopie (Cave: erhöhte Perforationsgefahr!); Laborchemie ist unspezifisch!
- Therapie: konservativ-abwartend nur bei transienter Mukosaischämie/Schweregrad A, ansonsten lokalisationsabhängige Darmresektion, ggf. Hartmann-OP
Schweregrade der Kolonischämie Schaden Prognose A transitorische ischämische Kolitis Resitutio ad integrum B Nekrosen der Tunica muscularis Defektheilung, narbige Strikturen C ischämisch-nekrotisierende gangränöse Kolitis Kolongangrän Prophylaxe
- präoperativer Ausschluss einer signifikanten Stenose der A. mesenterica superior und des T. coeliacus
Spinale Ischämie und Paraplegie („ischemic spinal cord injury“ – SCI)
- Ursache: Minderdurchblutung des Rückenmarks durch endovaskuläres Überstenten von rückenmarksrelevanten Arterien in Kombination mit weiteren Risikofaktoren wie perioperative Hypotension, größere Blutverluste/Anämie; besonders bei thorakalen/thorakoabdominellen Eingriffen
Territorien der Rückenmarksperfusion ("Kollateralnetzwerk") supraaortal zervikale Arterien (bes. A. vertebralis) thorakale Aorta Interkostalarterien abdominelle Aorta Lumbalarterien pelvin A. iliaca interna Kommt es zur Kompromittierung von mindestens zwei Territorien der Spinalperfusion, steigt die Wahrscheinlichkeit einer spinalen Ischämie.
- Klinik: reicht von kleinen transienten Sensibilitätseinschränkungen über Funktionsstörungen der Kontinenzorgane bis zur kompletten Paraplegie mit lebenslanger Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit
Mechanismen der Rückenmarksischämie Störung Auswirkung anhaltendes Abklemmen der Aorta akuter Verlust der direkten (Spinalarterien) und indirekten (Kollateralnetzwerk) Rückenmarkperfusion Abnahme des mittleren arteriellen Drucks (z. B. durch Anästhesie) Abnahme des spinalen Perfusionsdrucks/akute Minderperfusion steigender Druck des Liquor cerebrospinalis spinales Kompartment-Syndrom Steal-Phänomen durch offene Spinalarterien z. B. nach Öffnung eines Aneurysmasacks Abnahme des spinalen Perfusionsdrucks -> Rückenmarködem Reperfusionsschaden nach Abklemmen Rückenmarködem postoperative Thrombose von Arterien, die das Rückenmark versorgen verzögerte Paraplegie - Therapie: Erhöhung des spinalen Perfusionsdruckes, z. B. medikamentöse Anhebung des arteriellen Mitteldrucks und Anlage einer Liquordrainage zwecks Senkung des Gegendrucks der arteriellen Perfusion in den Liquorräumen
Prophylaxe:
- Vermeiden von intra- und postoperativen hypotensiven Phasen sowie nach Segmentarterienverschluss den Erhalt eines mittleren arteriellen Drucks von 80–90 mm Hg über mindestens 48 h
- Anlage einer prophylaktischen spinalen Liquordrainage, wenn mindestens zwei Territorien der spinalen Durchblutung (s. o.) beeinträchtigt sind und nicht durch revaskularisierende Maßnahmen wiedereröffnet werden können
- perioperativ suffiziente zentralvenöse Sättigung (ScvO2) von ≥70 % sowie intraoperativ ein zentralvenöser Druck (ZVD) von ≤10 mm Hg, Hämoglobin-Wert ≥ 8 mg/dl bzw. intraoperativer Blutverlust so gering wie möglich halten, Cell-Saver
- postop. zügige Extubation, um neurologischen Status erheben zu können, Verlaufskontrollen
2. Systemische Komplikationen
- kardiopulmonale und zerebrovaskuläre Komplikationen sowie kontrastmittelinduzierte Nephrotoxizität
- akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, Pneumonie, zerebrovaskuläre Ereignisse, Niereninsuffizienz → adäquate, interdisziplinäre Therapie
- präoperative Evaluation: kardialen Status, Lungenfunktion, Retentionswerte
3. Post-Implantationssyndrom
- Inzidenz: 13 – 60 %
- Ursache: entzündliche Immunantwort mit Freisetzung von Zytokinen durch eine endotheliale Aktivierung durch das Endograft-Material
- Klinik: vorübergehende, akute, grippeähnliche Symptome, Fieber
- Labor: Erhöhung von C-reaktivem Protein (CRP), Interleukin6 und TNF-α während der ersten Woche nach der Implantation; typischerweise keine Leukozytose und kein Keimnachweis
- Therapie: symptomatisch (antipyretische Maßnahmen, Antibiotika sind nicht indiziert)
4. Pseudoaneurysmen der Zugangsgefäße
- an der Punktionsstelle nach dem perkutanen Vorgehen häufiger als nach chirurgischer Freilegung des Zugangsgefäßes
- Inzidenz behandlungsbedürftiger Pseudoaneurysmen: 3 - 6 %
- Therapie: ultraschallgesteuerte Thrombininjektion ins Aneurysma, ggf. operative Sanierung, insb. bei Aneurysmen > 1,5 cm
5. Endoprothesen-Migration
- Verschiebung der Endoprothese um mehr als 5–10 mm von der ursprünglichen Position, in der Regel nach kaudal
- Inzidenz: 1 – 10 % (1-Jahres-Kontrolle nach EVAR)
- Hauptursache der Reinterventionen bei Typ-I-Endoleckagen (s.u.)
6. Kinking/Okklusion der Endograft-Schenkel
- Inzidenz: 2 – 4 % der Patienten nach EVAR
- Ursachen: fortschreitende Verkleinerung des ausgeschalteten Aneurysmasacks mit konsekutiver Deformierung des Endografts, ausgeprägte Aortenhalswinkelung, schmalerer Durchmesser des distalen Aortenhalses, der zu einer Kompression der Prothesenschenkel führen kann
- Klinik: Claudicatio intermittens, auch akute Beinischämie
- Therapie: Platzierung von Bare-Metal-Stents bzw. von weiteren Stentgrafts innerhalb des ursprünglichen Endografts; bei akutem Verschluss Rekanalisierung mit Thrombolyse und nachfolgender Stent-Implantation
7. Materialermüdung
- Ursache: Frakturen der Stent-Streben, Risse im Endograftmaterial, Lösen von Prolenenähten, die das Endograftmaterial an den Stent-Streben befestigen
- Folge: Typ I-oderTyp-III-Endoleckagen (s.u.)
8. Endograft-Infektion
- Inzidenz nach EVAR: 0,4 – 3 %
- Letalität 20 – 50 %!
- Riskofaktoren: Alter, Diabetes, Adipositas, Malnutrition, Gangrän/Ulkus, Dauer der präop. Hospitalisierung, Op-Dauer, inguinaler Zugang, Blutverlust, Reinterventionen, Lymphozelen, Hämatome, Serome, Wundheilungsstörungen, Wundinfekte
- variable Klinik: relativ blande Befunde (Erhöhung Entzündungsparameter), Kreuzschmerzen, fieberhafte Infekte bis hin zu dramatischen Verläufen mit aktiver Blutung/Perforation, Arrosionen von Nachbarorganen mit Fistelbildungen
- Therapie: unmittelbar nach Diagnose Breitspektrumantibiotika; fehlender Keimnachweis in Blutkultur → Vancomycin + Präparat gegen gramnegative Erreger (z.B. Ceftriaxone, Flurochinolon oder Piperacillin-Tazobactam), ansonsten resistogrammgerecht; bei Infektpersistenz oder –rezidiv nach/oder trotz Antibiose → offene-chirurgische Prothesenexplantation
9. Endoleckagen
- Definition: anhaltender Blutfluss im Aneurysmasack nach vollständiger Endograft-Platzierung
- häufigste Komplikation nach EVAR
- Klassifikation:
Typ I
fehlende Abdichtung der Landungszonen
- A: proximale Verankerung
- B: distale Verankerung
- C: iliakaler Okkluder bei aortoiliakalem Endograft und femorofemoralem Cross-over-Bypass
Typ II
retrograder Blutfluss im Aneurysmasack über Kollateralen (meist A. mesenterica inferior und Lumbalarterien, gelegentlich akzessorische Nierenarterie)
- A: single vessel
- B: multiple vessels
Typ III
- A: Diskonnektion von Prothesenteilen
- B: Defekt im Graftmaterial
Typ IV
Porosität des Graftmaterials (üblicherweise selbstlimitierend) Typ V
Endotension (Aneurysmawachstum ohne Endoleaknachweis) - Typ I- und Typ III-Endoleckagen sind mit einem höheren Risiko der Aneurysmaruptur verbunden → zeitnahe Intervention empfohlen
- Diagnostik: CT, MRT, Kontrastmittel unterstützte farbkodierte Duplexsonographie
- Therapie:
Typ I
Intraoperativer Nachweis im Rahmen der Abschluss-Sonographie erfordert sofortige Korrektur, z. B.
- gezielte Ballondilatation oder Bare-Metal-Stent-Implantation
- Verlängerung des Endograft proximal oder distal mit einer Endograftmanschette oder weiteren Stentgrafts
- Anheftung des Endograftmaterials an die Aortenwand mit Hilfe von Endostaples und Endoanchors
- transarterielle Flüssigembolisation mittels N-Butylzyanoakrylat oder Ethylen-Vinylalkohol-Copolymer
Typ II
Indikation zur Reintervention: Endoleak > 6 Monate nachweisbar und Größenzunahme des Aneurysmas > 5 mm
- transarterielle Flüssigembolisation
- perkutane, translumbale Embolisation (CT-/Ultraschall-gesteuert)
- transvenöse/transkavale Embolisation
- Absetzen einer persistierend offenen, kaliberstarken A. mesenterica inferior durch MIC-Eingriff mittels Endo-GIA
Typ III
- Platzierung eines weiteren Endografts innerhalb der ersten Endoprothese
Typ IV
typische periprothetische Kontrastmittelwolke über mehrere Sekunden zum Zeitpunkt des abschließenden Kontrollangiogramms; stoppt i. d. R. innerhalb von 24 Stunden sobald Heparin-Wirkung nachlässt und sich die Poren des Graftmaterials zusetzen
- keine langfristigen Nebenwirkungen, bedarf keiner Behandlung
Typ V
möglicherweise durch wellenförmige Übertragung der Pulsation der Stentgraft-Wand durch den thrombosierten Perigraftraum auf die native Aneursmawand
Intervention nur bei Größenzunahme des Aneurysmas mit drohender Ruptur (selten):
- Implantation einer zweiten Endoprothese innerhalb der ersten Prothese
- offen-chirurgischen Sanierung des Aneurysmas mit Explantation der Endoprothese