Komplikationen - Hemithyreoidektomie

  1. Prophylaxe und Management intraoperativer Komplikationen

    Blutung

    Kommt es zu einer massiven intraoperativen Blutung (z.B. aus der Kocher’schen Vene oder der A. thyroidea inferior), so wird zunächst tamponiert und unter kontinuierlichen Saugung versucht das Gefäß zu identifizieren, um es anzuklemmen und zu ligieren.

    Bemerkung: Bei jedem Schilddrüseneingriff empfiehlt sich vor dem Wundverschluss eine Kontrolle auf Bluttrockenheit unter PEEP-Beatmung des Patienten. 

    Feststellung des Signalverlustes bei IONM (intraoperativem Neuromonitoring)

    Wenn es sich um die erste Seite einer geplant beidseitigen Resektion handelt, sollte von der Resektion der kontralateralen Seite Abstand genommen werden, um das Risiko einer beidseitigen Rekurrensparese zu vermeiden.

    Minderperfusion oder akzidentielle Entfernung einer Nebenschilddrüse (NSD)

    Üblicherweise erfolgt deren Autotransplantation nach histologischer Organbestätigung in 1 mm ³ großen Würfeln in eine Tasche des ipsilateralen M. sternocleidomastoideus (Dokumentation nicht vergessen!).

    Prophylaxe:

    Zusätzlich zum Goldstandard der visuellen Identifikation wird zumindest bei komplexen Fällen ein zusätzliches Auffindungsverfahren mit spontaner oder induzierter Fluoreszenz empfohlen (Autofluoreszenz, ICG-Fluoreszenz, PT-EYE).

    Eine Aussage über die Vaskularisation bzw. Devaskularisation der Nebenschilddrüse erreicht man nur mit der ICG-Fluoreszenzangiografie. 

    Trachealverletzung

    Möglichst sofortige Übernähung, Nahtabdeckung mit zusätzlichem Material (Perikard, Pleura, M. sternocleidomastoideus, vliesgebundener Gewebekleber), ggf. Stent, peri- und postop. Antibiotikatherapie 

    Ösophagusverletzung 

    bei ausgedehnten Tumor- oder Strumaoperationen, direkte Naht, Antibiose, Drainage

    Pleuraverletzungen/Spannungspneumothorax (bei tiefer zervikaler Resektion)

    Naht ggf. Thoraxdrainage

  2. Prophylaxe und Management postoperativer Komplikationen

    Rekurrensparese/Stimmbandlähmung

    Inzidenz

    • 1 - 2 %, bei Rezidiveingriffen 2 - 8 %
    • Patienten mit einem Schilddrüsenmalignom haben das größte Risiko einer permanenten Recurrensparese.

    Ursache

    • meist intraoperative Zerrung und Quetschung des N. laryngeus recurrens (NLR) mit guter Prognose und Erholung der Stimmbandfunktion innerhalb von Tagen bis Wochen
    • selten Kontinuitätsunterbrechung
    • Druckschaden nach postoperativer Blutung
    • intubationsbedingte nicht nervale Beeinträchtigungen der Stimmlippenbeweglichkeit: Nicht nur durch die intraoperativen Manipulationen kann die Stimmbandfunktion geschädigt werden, sondern auch durch die endotracheale Intubation: falsche Positionierung des Cuffs (z. B. innerhalb des Kehlkopfs), Extubation bei geblockter Manschette, grobe Lagerung des Kopfes bei liegendem Tubus. Es sind Verletzungen der Stimmlippen wie Druckschädigungen, Schleimhautverletzungen, Hämatome bis zur Luxation der Aryknorpel möglich.

    Folgen

    • unvollständiger Verschluss der Stimmlippe auf der betroffenen Seite
    • Heiserkeit, Schluckstörungen und Beeinträchtigungen der Atmung insbesondere bei beidseitiger Lähmung durch deutliche Verschmälerung der Stimmritze. Im Vordergrund steht die Sicherung der Atemwege, was die Anlage eines Tracheostomas nach sich ziehen kann.
    • bei symptomatischer Stimmlippenparese logopädisches Stimmtraining

    Prophylaxe

    • Vermeidung einer Rekurrensparese gilt als Qualitätsmerkmal der Operation.
    • Vorbeugen einer Schädigung durch exakte anatomische Kenntnisse mit den möglichen Varianten des Nervenverlaufs, sowie sorgfältige visuelle Darstellung und Präparation, um den Nerven sicher zu schonen.
    • Einsatz des Neuromonitorings, um den Nerven zu identifizieren und funktionelle Schäden zu detektieren, die nicht unbedingt visuell zu erkennen sind.
    • Bei Eintreten eines Signalverlustes auf der erstoperierten Seite, konsekutives Aussetzen der Resektion auf der Gegenseite.
    • Zur Schonung des Stimmbandnerven tragen ebenfalls bei:
      1. sog. Mikrodissektionstechnik unter Verwendung optischer Instrumente (Lupenbrille)
      2. die Verwendung schonender Blutstillungsverfahren (bipolare Koagulation, Gefäßclips, “vessel sealing”, Ultraschalldissektion) 

    Schädigung des N. laryngeus superior

    • Der Nervus laryngeus superior ist ein Ast des N. vagus, der sich medial der A. carotis in einen motorischen Ramus externus für die motorische Innervation des M.cricothyreodeus und einen sensiblen Ramus internus für die Kehlkopfschleimhaut teilt.
    • Der Ramus externus des N. laryngeus superior überkreuzt, hinterkreuzt oder durchkreuzt die Polgefäße in unmittelbarer Nähe zum oberen Schilddrüsenpol.

      • Eine Läsion dieses Nervenastes kann eine Dysphonie mit verminderter stimmlicher Leistungsfähigkeit im Sinne einer Verminderung des Stimmumfanges und schneller Ermüdung der Stimme zur Folge haben.
      • Der besonderen Anatomie sollte durch eine kapselnahe und schonende Präparation des oberen Schilddrüsenpols Rechnung getragen werden.
      • Einsatz des EBSLN-Monitoring bei Schilddrüsenoperationen mit schwieriger Anatomie und bei Patienten mit hoher stimmlicher Anforderung. 

    Grundlegende Informationen über das intraoperative Neuromonitoring erfahren Sie unter: Link IONM

    Schädigung des Sympathikus

    Seltene Komplikation bei sehr großen Strumen oder Rezidiveingriffen, ersichtlich als Horner-Syndrom (partielle Ptosis, Miosis und Anhidrose des Gesichts)

    Dysphagie

    • Ursachen: arytenoidales Trauma nach Intubation, chirurgisches Trauma der geraden Halsmuskulatur oder des M. cricothyreoideus, Veränderungen der laryngealen Durchblutung, Narben- und Adhäsionsbildung mit Störung der Hyoidmobilität oder laryngotrachealer Fixation zu Weichteilen und Haut, psychogen, Schädigung des extrinsischen perithyreoidalen Nervenplexus
    • Therapie: meist selbstlimitierend, Lateralisierung der geraden Halsmuskulatur

     Nachblutung

    • Inzidenz (1 - 2 %): Die meisten Nachblutungen ereignen sich in den ersten 6 Stunden nach dem Eingriff. Daten zeigen, dass 54 % aller Patienten in der Schilddrüsen-und Nebenschilddrüsenchirurgie länger als 24 Stunden postoperativ mit Übelkeit und Erbrechen belastet sind und während dieser Phase einem erhöhten Nachblutungsrisiko ausgesetzt sind. Ein nicht unerhebliches Nachblutungsrisiko (ca. 20%) besteht deshalb auch jenseits der 24-Stunden-Grenze.
    • Risikofaktoren: Einnahme von Antikoagulantien, Gerinnungsstörungen, ausgedehnte Resektionen, höheres Patientenalter, männliches Geschlecht, Rezidivoperation
    • Vermeidung durch penible intraoperative Blutstillung und sorgfältige operative Technik. Am Ende der Operation Valsalva-Manöver und adäquater Blutdruck zur Kontrolle auf Bluttrockenheit. Ruhige, ereignisfreie Ausleitung und Extubation.
    • Die Nachblutung in der Schilddrüsenchirurgie ist eine eingriffstypische Komplikation, die zu einer vital bedrohlichen Situation führen kann. Bei arteriellen Blutungen dringt das Blut unter hohem Druck in die Halsloge ein und kann zu Kompression, Schwellung, intubationspflichtiger Atemnot und Asystolie durch Vagusdruck führen.
    • Erste Blutungszeichen: Zervikales Druck- und Engegefühl, kloßige Sprache, Schluckbeschwerden. Bei Schweißigkeit, Luftnot, Stridor, Tachykardie und Hypotonie umgehende operative Revision. Laboruntersuchungen und Sonographie sind keine zuverlässigen diagnostischen Maßnahmen zur Feststellung der Blutung und müssen aufgrund der Akutizität nachgeordnet oder unterlassen werden.
    • Therapie: Die Sicherung der Atemwege hat Vorrang, möglichst aber rechtzeitige Verbringung in den OP-Saal, um eine geordnete Reintubation und Revision unter sterilen Bedingungen vornehmen zu können. Schleimhautschwellungen im Larynx und in der Trachea können zu einer massiven Erschwerung der Intubation führen, sodass eine Nottracheotomie erforderlich wird.
    • Symptomfreie Hämatome ohne nennenswerte Zunahme des Halsumfangs sollten konservativ behandelt werden, Voraussetzung ist jedoch eine engmaschige Beobachtung des Patienten, um jederzeit eingreifen zu können.

    Hypoparathyreoidismus

    Häufige Komplikation nach beidseitigen Schilddrüseneingriffen, Rezidiveingriffen oder zentraler zervikaler Lymphadenektomie. Definiert als laborchemische Diagnose bei PTH < 15 pg/ml und gleichzeitig normalem, niedrig normalem oder erniedrigtem Serumkalzium (Eiweiß korrigiert). Zur frühzeitigen Erkennung eines postoperativen Hypoparathyreoidismus sollte die Bestimmung des Serumkalziums und intakten Parathormon direkt postoperativ oder am Morgen des ersten postoperativen Tages erfolgen. Das Kalzium am ersten postoperativen Tag allein korreliert nicht mit der Prognose hinsichtlich Entwicklung eines Hypoparathyreoidismus.

    Inzidenz

    • bei Thyreoidektomie passager bis zu 33,6 %, permanent um die 10 %
    • Bei einem passageren Hypoparathyreoidismus normalisiert sich die NSD-Funktion innerhalb der ersten 6 Monate postoperativ.
    • gesteigerte Häufigkeit bei Schilddrüsenmalignomen und bei Morbus Basedow

    Ursache

    • akzidentielle Entfernung einer oder mehrerer NSD Bemerkung: In ca. 7 % werden Nebenschilddrüsen auf dem Operationspräparat gefunden!
    • Durchblutungsstörungen durch Verletzung der die Nebenschilddrüsen versorgenden Gefäße, Devaskularisierung der NSD insbesondere durch eine langstreckige Freilegung des NLR oder bei stammnaher Unterbindung der A. thyreoidea inferior. Bei der zentralen zervikalen Lymphadenektomie ist besonders die Durchblutung der unteren NSD gefährdet.
    • Werden weniger als 2 oder 3 Epithelkörperchen erhalten, steigt das Risiko eines permanenten Hypoparathyreoidismus signifikant an.

    Vermeidung

    • Schilddrüsenkapselnahe Gefäßunterbrechungen, um eine Devaskularisation der NSD zu vermeiden.
    • Sichere Identifikation der Nebenschilddrüsen und kapselnahes Abpräparieren, der oft an einem Ast der A. thyreoidea inferior gestielten NSD.
    • Behutsame Präparation in sog. Mikrodissektionstechnik unter Verwendung optischer Instrumente (Lupenbrille).
    • Verwendung schonender Blutstillungsverfahren (bipolare Koagulation, Gefäßclips, “vessel sealing”, Ultraschalldissektion)
    • Zusätzlich zum Goldstandard der visuellen Identifikation wird zumindest bei komplexen Fällen ein zusätzliches Auffindungsverfahren mit spontaner oder induzierter Fluoreszenz empfohlen (Autofluoreszenz, ICG-Fluoreszenz, PT-EYE).

      Autofluoreszenz: Gewebe der Nebenschilddrüse emittiert bei Anregung mit nahem Infrarotlicht (Wellenlänge häufig 785 nm) ein schwaches, aber spezifisches Fluoreszenzsignal. Es ist kein Farbstoff nötig. Echtzeitdarstellung während der OP, Spezialkamera erforderlich.

      Indozyaningrün (ICG)-Fluoreszenzangiographie: Intravenöse Injektion von Indozyaningrün (ICG), einem fluoreszierenden Farbstoff. ICG bindet an Plasmaproteine und zeigt vaskularisierte Strukturen an. Die Nebenschilddrüsen werden durch ihre besonders hohe Gefäßdichte mit einer Spezialkamera für nahes Infrarotlicht (NIR-Licht) sichtbar. Ermöglicht eine Einschätzung der Durchblutung der Drüsen → Prognose der postoperativen Funktion.
       
    • durchblutungsgestörte Nebenschilddrüsen nach histologischer Organbestätigung autotransplantieren (in 1 mm ³ großen Würfeln in eine Tasche des ipsilateralen M. sternocleidomastoideus; Dokumentation nicht vergessen!).
    • Grundsätzlich sollte jede NSD so behandelt werden, als sei sie die letzte!

    Therapie

    • Bei postoperativ inadäquat erniedrigtem Parathormon (< 15 pg/ml) sollte eine orale Medikation mit Kalzium (z.B. Kalziumcarbonat bis 3 x 500 mg/d; Kalzitriol 2 - 3 x 0.25 - 1 µg/d) eingeleitet werden. Bei gleichzeitiger Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren kann auf Calciumcitrat gewechselt werden. Die Medikation kann durch zusätzliche Gabe von Magnesium ergänzt werden, da die Serumkonzentration von Magnesium bei Hypoparathyreoidismus ebenfalls vermindert ist. Bei persistierender Symptomatik unter max. oraler Medikation kann eine vorübergehende intravenöse Therapie erforderlich sein.
    • Wird der Patient mit hochdosierter Kalzium- und Vit. D-Medikation entlassen, sollen eine regelmäßige Kontrolle und frühzeitige Anpassung/Reduktion der Medikation zur Vermeidung einer iatrogenen Hyperkalzämie erfolgen. Vermeidung einer nierenschädigenden Hyperkalzämie durch Einstellen des Serumkalziums unterhalb von 2,3 mmol/L. Höhere Serumkalziumspiegel führen bei niedrigem bzw. subnormalem PTH zu einer vermehrten Kalziumausscheidung im Urin und zu einer Suppression der Nebenschilddrüsenfunktion.

    Infektionen

    Inzidenz

    • 0,3 - 2,9 %
    • Wundinfektionen treten meist als sekundär infizierte Hämatome auf, Abszesse kommen vor.
    • Durch ein gutes Wundmanagement zusätzlich zur antibiotischen Behandlung bereiten Infektionen in aller Regel keine größeren Schwierigkeiten.
    • Hämatogene Streuung und septischer Verlauf stellen eine Ausnahme dar. Bei tiefer gehender Halsphlegmone ist ein ausgedehntes ggf. wiederholtes Debridement erforderlich.

    Chylusfistel/Chylothorax

    Verletzung des D. thoracicus bei großen Strumen mit retrosternaler Ausdehnung, oder wenn Lymphknoten im lateralen Halsdreieck mitentfernt werden.

    Diagnostik/Therapie: konservative Maßnahmen (Drainage, Kompressionsverbände, totale parenterale Ernährung, spezielle enterale Diät); Lymphangiographie und ggf. Embolisation des Ductus thoracicus

    Äußerst seltene Komplikationen

    • Eine potentiell lebensbedrohliche frühpostoperativ auftretende foudroyante Infektionsausbreitung mit Mediastinitis kann vor allem durch β−hämolysierende Streptokokken der Gruppe A ausgelöst werden. Eine rasche Diagnostik und Therapie mit Eröffnung der Wunde, Wundabstrich und gezielter Antibiotikatherapie sind erforderlich. Risikofaktoren sind Diabetes, Immunsuppression, Adipositas, Sternotomie und eine lange Operationsdauer (> 2 - 3 Stunden).
    • Verletzung des N. accessorius oder N. phrenicus im lateralen Halsdreieck